Es geht alles wieder seinen normalen Gang in Havanna. Doch die Ereignisse vom Wochenende bleiben das bestimmende Thema.
In mehreren Städten des Landes waren am Sonntag Tausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die Lebensmittel- und Medikamentenknappheit zu protestieren. Dabei skandierten sie zum Teil regierungsfeindliche Slogans. Es waren die größten Proteste auf Kuba seit dem so genannten „Maleconazo“, als im August 1994, auf dem Höhepunkt der Spezialperiode, Hunderte Menschen auf Havannas Uferpromenade demonstrierten. Im Gegensatz zu 1994 hatten die Proteste dieses Mal – nicht zuletzt aufgrund der sozialen Netzwerke – eine nationale Dimension, die die Behörden überraschte.
Schnell machten in den sozialen Netzwerken Videos von Straßenprotesten in San Antonio de los Baños, Palma Soriano, Holguín, Camagüey, Santiago de Cuba und anderen Orten die Runde. Ein solcher Ausbruch sozialer Unzufriedenheit ist ungewöhnlich für den Karibikstaat und rief dementsprechend viel Aufmerksamkeit auch im Ausland hervor. Aus Miami kamen schnell Solidaritätsbekundungen und Rufe nach einer „Intervention“.
Auch zwei Tage später ist weiterhin unklar, wie viele Festnahmen es gab; das mobile Internet funktionierte auch am Dienstag nicht oder nur in kurzen Zeitintervallen. In zwei Fernsehansprachen am Sonntag und Montag ging Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel auf die Unzufriedenheit ein und gestand zahlreiche Probleme ein; erinnerte aber zugleich an die Verschärfung der US-Blockade durch US-Präsident Donald Trump und die Beibehaltung der Sanktionen durch die Regierung Joe Biden. Havanna macht die Vereinigten Staaten und ihre Blockadepolitik für die gravierende wirtschaftliche Situation und für die Anstachelung und Koordinierung der Proteste verantwortlich. Washington solle die Blockade aufheben, wenn es wirklich am Wohl des kubanischen Volkes interessiert sei, so Díaz-Canel. „Sollen sie die Blockade aufheben und dann sehen wir, wie wir spielen.“
US-Präsident Biden äußerte sich am Montag gegenüber der Presse nur kurz zu den Protesten auf der Insel. „Das kubanische Volk fordert seine Freiheit von einem autoritären Regime. Ich glaube nicht, dass wir so etwas wie diese Proteste in einer langen, langen Zeit gesehen haben, wenn, ganz offen gesagt, jemals“, so Biden. Die USA stünden fest an der Seite des kubanischen Volkes, wenn es seine universellen Rechte einfordert. „Und wir fordern die kubanische Regierung auf, bei ihrem Versuch, die Stimmen des kubanischen Volkes zum Schweigen zu bringen, von Gewalt Abstand zu nehmen.“ Auf die Frage, ob er eine Änderung der Blockade gegen Kuba in Betracht ziehe und wann seine Regierung bereit sei Trumps Kehrtwende gegenüber Kuba zu ändern, entgegnete Biden nur kurz: „Wir werden im Laufe der Woche noch mehr über Kuba zu sagen haben – bleiben Sie also dran.“
Ausgelöst wurden die Proteste durch die schwere Wirtschafts- und Versorgungskrise in Kuba. Die Pandemie, die schwierige Versorgungslage, die Warteschlangen, Stromabschaltungen, Inflation – es kommt einiges zusammen. Der Einbruch des Tourismus durch die Coronapandemie und die Verschärfung der US-Sanktionen haben das Land von wichtigen Deviseneinahmen abgeschnitten und den (finanziellen) Spielraum der kubanischen Regierung drastisch verengt.